Fragmente 1

Mord im Schokoladentempel

 

Eine Fortsetzungsgeschichte

 

Die Eisschokolade bei Fassbender und Rausch schlotzte durch den Strohhalm. Marek saugte heftig. Er hatte eine brutale Technik, sich möglichst schnell und geräuschvoll die hochkalorische Kalorienbombe hereinzuziehen.
Fassbender und Rausch war der In-Schokoladen-Tempel in Berlins neuer Mitte. Das Erkerfenster im ersten Stock, in dessen Ecke Marek saß, erlaubte einen Blick über den  Gendarmenmarkt. Im Norden und Süden wurde dieser Platz vom Französischen und Deutschen Dom eingerahmt, und zwischendrin lag ein mit Platanen gesäumter Platz. Früher war das hier ein Platz der Hugenotten gewesen, der Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, die ein aufgeklärter deutscher König auch als intelligenten kaufkräftigen Mittelstand aufgenommen hatte.
Marek wartete. Sein Ausguck am Eck garantierte einen Überblick links  bis hinunter zur Newton-Bar und gegenüber zum Hilton Berlin Mitte. Das Jackett spannte etwas um die Brust. Nicht nur wegen des kalorienreichen Herrentörtchens, das er vor der Eisschokolade verzehrt hatte, sondern auch wegen des dicken Briefumschlags in der einen Innentasche des Jacketts. Bei 2.750.000 hatte er aufgehört zu zählen. Denn der Rest gehörte ihm. Und es blieb noch genug Zeit, später im Hotel seinen Anteil zu zählen. Schnell verdientes Geld. Er grinste und sog erneut am Strohhalm in dem unverschämt hohen und vollen Glas mit Eisschokolade. In der anderen Innentasche hatte er seine Versicherungspolice untergebracht, die spannte nicht weniger, denn es war eine handlicher Pistole.
Marek wartete auf seinen Kontaktmann zur Geldübergabe. Auf der Bank gegenüber von  Fassbender und Rausch sollten sie sich treffen. Erkennungszeichen für beide: Die Baseballcap der New York Yankees. Nicht besonders ausgefallen, aber in Berlin doch eher selten anzutreffen. Seine Cap hatte er nicht mitgenommen. Er wollte sie nicht gebrauchen.

Marek schluckte. Er hätte nicht so gierig trinken sollen, stattdessen den intensiven Kakaogeschmack genießen, die Gefühle auskosten, die der hochwertige Kakao in seinem lymbischen System auslöste. Seinem Magen Zeit lassen, das aromatische Vanilleeis anzuwärmen. Überhaupt hätte er den Mund nicht so voll nehmen sollen. Aber das wusste er noch nicht.
Draußen tuckerte jetzt mit dunkelgrauen Abgasschwaden ein Trabbi-Korso um die Ecke, sieben oder acht Plastikbomber in geschmacklosen Pastellfarben. Er vermutete Ossis darin, die ihre Nostalgie auf diese abwegige Art ausleben wollten. Einer der Trabbi bog ab und parkte direkt vor Fassbender und Rausch auf einer gesperrten Fläche. Ein großer, fetter Mann stieg aus, setzte sich eine Baseballcap auf, warf einen Blick zur Bank und bog ab. Nicht zum Gendarmenmarkt, sondern direkt zu Fassbender und Rausch. Das war gegen die Vereinbarung,

Marek warf einen zu großen Schein auf den Tisch und ging zum Fahrstuhl, der hinunter ins Erdgeschoss in den Schokoladenladen führte. Mit ihm trat eine Gruppe von rundlichen Amerikanerinnen in den Fahrstuhl. Er drängte sich in die hintere Ecke und schaute sich um. Seine Nachbarin leckte sich noch die Mundwinkel, und trotzdem  blieb noch ein Rest Schokolade hängen Die Türen öffneten sich geräuschlos.
Marek  ließ ihnen den Vortritt, verschaffte sich Deckung hinter den schwatzenden Frauen und suchte den Laden nach dem Mann mit der Basballcap ab.

*
Im Erdgeschoss des Schokoladen-Tempels wurde Marek von einer Frau erwartet. Das wusste er nicht, und er würde es auch nie erfahren.
Seine Verfolgerin hatte Zeit, Marek konnte ihr nicht entkommen. Der einzige Ausgang vom Obergeschoss führte über einen Fahrstuhl, der nur gemächlich die Etagen wechselte. Tess Thompson war 36 Jahre alt, hatte eine mittelgroße muskulöse Statur, rotblondes Haar und einen zu kleinen Busen. Fand sie jedenfalls. Aus den Augenwinkeln sah sie Marek aus dem Fahrstuhl treten, belächelte heimlich seinen schwachen Versuch, sich hinter Touristinnen zu verstecken und riss sich von der Pralinentheke los, deren Düfte sie mit Lust erfüllt hatten. Sie hatte eine geheime Schwäche für Schokolade, besonders für die  bittersüße Sorte mit rotem Pfeffer, die so verlangend auf der Zunge brannte. Zum Glück hatte sie nun einen Anlass, die wunderbaren Kalorienspender als Tarnung zu erwerben, denn Marek schlenderte jetzt direkt auf die zu. So heuchelte sie Interesse für die Sorte Java Vollmilch, die gerade in zehn Zentimeter dicken Blöcken vor ihr lag. Geradezu unanständig, so dicke Schokoladenstücke herzustellen. Sie schluckte. Schokolade war die geheime Leidenschaft einsamer Nächte vor dem Fernseher mit ödem Spätprogramm. Tess war Privatdetektivin, selbständig und spezialisiert auf Wirtschaftsvergehen, wie auf ihrer Visiten-Karte stand. Sie konnte unnachahmlich naiv gucken und überall als süßes Dummchen durchkommen.
Genau so strahlte sie jetzt Marek an, als sie sich mit Schwung umdrehte und dabei gegen dessen Jackett prallte. Fühlt sich gefüllt an, registrierte sie und auch die Waffe in der anderen Tasche hatte Tess  ertastet. Sie strahlte ihn mit Schmollmund und aufgerissenen Augen an. „Ach Entschuldigung ...!“ stammelte sie. Marek nahm sie gar nicht wahr, sein Blick streifte durch den Laden, suchte wohl nach etwas anderem. Tess gluckste in sich hinein. Er hatte sie nicht bemerkt.
Sie folgte ihm Richtung Ausgang als mit einem unsanften Plopp ein Windhauch an ihr vorbeirauschte. Marek blieb abrupt stehen. Er stand gerade vor dem viel bestaunten 60 cm hohen Modell des Brandenburger Tors, aus reiner Schokolade im Laden, als ihn ein furchtbarer Schmerz unter dem Brustbein erfasste. Instinktiv  suchte er nach Halt, vergriff sich an der Quaderiga, die mit vier Rössern und Streitwagen in Vollmilch auf dem Tor prangte und zerquetschte sie mit seinen groben Fingern. Tess’ Blick fuhr herum. Das war ein Schuss gewesen. Marek beugte sich inzwischen mit verzerrtem Gesicht über die Schokoladenfigur und zerstörte durch die Last seines Gewichtes nach und nach alle Flügel des Brandenburger Schokoladen-Tors. Bröckeln fiel die Figur über ihn, der strauchelnd in die Knie sank und mit letzter Kraft noch in seine Brusttasche griff. Inzwischen schrieen die Amerikanerinnen, hinter denen er sich versteckt hatte und drängten panisch Richtung Ausgang. Ein Regal mit Schokoladenproben ging zu Boden und krachte auf Marek, der inzwischen voll und ganz mit Bruchware bedeckt war. Ein Mann stürmte auf Marek zu und versuchte, ihn hochzuziehen. Tess ging langsam rückwärts, stemmte sich gegen die Flüchtenden, die nur aus dem  Laden wollten. Dabei ließ sie den Helfer nicht aus den Augen. Der tastete Marek ab, und seine Hand glitt unter das Jackett auf die Brust und in die pralle Innentasche. Tess versuchte sich sein Gesicht einzuprägen , was schwierig war, denn dauernd stürzten Menschen durch ihre Blickrichtung. Eine weisse Kappe und eine große Sonnenbrille verdeckten das Gesicht, der Mann schien wendig und kräftig, wie er gezielt sowohl am Hals nach dem Puls tastete als auch mit der anderen Hand in die Innentasche des Jacketts griff. Eine dicke Frau rammte in Eile ihren Rucksack in Tess  Rippen, sie fluchte und hielt instinktiv zum Schutz die Hände vor ihre Brust. Als sie wieder aufsah, war der Mann verschwunden und Marek lag still auf dem mit Schokoladenkrümeln bedeckten Boden. Tess seufzte und griff nach ihrem Handy, um die Polizei zu rufen. Dass sie dabei ihren Ex am Telefon hatte, machte sie nicht fröhlicher. „Was hast Du denn nun schon wieder?“ fragte Harald Thompson missmutig.

 

Was war geschehen? Hatte Marek das Geld von den Geschäftsführern der  privaten Fernsehgesellschaft Tele-Sat in Berlin erhalten, weil er ihnen nicht nur das Konzept einer neuen Supershow der Konkurrenz ATL verraten, sondern auch Teile des Teams abgeworben hatte? Wollte Super-TV den Täter und Zeugen des Deals mund-tot machen? Harald Tompson von der Kripo Berlin war natürlich auf eine Mauer des Schweigens getroffen und wütend, dass seine Ex Tess da mitten  drinsteckte. Seine neue Multi-Kulti-Freundin hatte ihn gerade verlassen . Lief da noch etwas mit Tess? Warum treffen sich die beiden Geschäftsführer heimlich bei Fassbender und Rausch zum Abendessen und warum taucht dabei ein Mann mit einer Baseballcap auf?
Lesen Sie mehr in der nächsten Folge und bleiben Sie dran!

([dazu kam es noch nicht ;-)]

 

 

Ende
Finale wieder  bei Fassbender und Rausch.